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MORGENROT. So stand es in korallenroten Lettern auf einer Leuchttafel über dem Glaspalast, der in Gestalt eines wie unter Hitze verbogenen, hochkant aufgestellten Rechteckes in den schneedurchtosten Himmel ragte. Ein Musterbeispiel postmoderner Architektur, das sich zweifellos ein Star seines Fachs hatte gut bezahlen lassen. Soviel zur exzellenten Finanzkraft des Bauherrn. Das Gebäude stand auf einer winzigen Insel, die sich im Sommer bestimmt als eine Augenweide für Strandspaziergänger anbot. Nun jedoch, da der See zugefroren war und der Schneeschauer wie eine Gardine wirkte, ging von dem Anblick etwas Beklemmendes aus, zumal alles rundherum von einem düsteren Tannenwald umfaßt wurde.

Ich hatte allerdings andere Probleme, als mich in ästhetischen Anschauungen zu ergehen. Die mir von Morlock beigebrachten Wunden schmerzten in noch nie zuvor empfundener Intensität, auch hatten sie meine letzten Kraftreserven aufgezehrt. Wohl oder übel gestand ich mir ein, daß aus dem Detektivspiel tödlicher Ernst geworden war. Ich hatte einen schrecklichen Fehler gemacht, den ich vermutlich kaum überleben würde. Der einzige Ort, wo ich auf Hilfe hoffen durfte, blieb der Riesenkasten am gegenüberliegenden Ufer. Es handelte sich allerdings um eine äußerst trügerische Hoffnung. Denn wie es aussah, gab es die in der Bildunterschrift erwähnte psychiatrische Privatklinik nicht mehr. Diese Anstalt war damals in einem alten Kloster untergebracht gewesen, von dem jedoch offenkundig nicht einmal mehr die Grundmauern existierten. Das Gebäude auf der Insel sah eher nach einer Konzernzentrale aus. Ein verwundetes, kleines Tier wie mich würde man dort sicher nicht einmal durch die Tür lassen. Doch es existierte zumindest der Hauch einer Hoffnung: Sowohl die damalige Klinik als auch der jetzige Repräsentationsbau hatten den Namen Morgenrot gemein.

Mit allerletzter Kraft und leicht schwankend schaffte ich es vom Ufer zu der Eisplatte und bewegte mich darauf schnurstracks in Richtung der Insel. Dabei versuchte ich, die sich von den Wunden ausbreitende Kälte in meinem Körper zu ignorieren. Je näher ich meinem Ziel kam, desto gespenstischer erschien es mir. Der Himmel hüllte sich in ein Basaltgrau und schaufelte tonnenweise Schnee herunter, trotzdem schillerte die Glashaut des Gebäudes wie bei Sonnenschein, und obwohl drinnen unzählige Menschen arbeiten mußten, war weit und breit keine Seele zu sehen. Und dann wurde es richtig gespenstisch!

Auf halber Strecke erblickte ich vor mir eine Silhouette. Zunächst von unscheinbarer Gestalt, erreichte sie beim Näherkommen eine recht ansehnliche Größe. Was konnte es nur sein? Vielleicht stellte es so etwas wie ein Denkmal dar. Aber mitten in einem zugefrorenen See? Ich beschleunigte meine Schritte, und als ich endlich vor dem Ding stand, war ich derart baff, daß ich kurzfristig meine Schmerzen vergaß. Es handelte sich um eine mittelalterliche Holzfähre, einen schlichten, vermoderten Kasten. Doch daß sich die vergammelte Fähre bei mindestens zehn Grad minus in eine Eisskulptur verwandelt hatte, war nicht das eigentlich Erstaunliche. Es war der Passagier darin, beziehungsweise der Fährmann. Schneeflocken umspielten ihn, von Ohren und der Nase hingen Eiszapfen herab. Der knochige, hohlwangige, runzelige Greis mit einem ergrauten Stoppelbart trug einen ledernen Schlapphut und eine bis zu den Füßen reichende Pelerine. Aus tief in den Höhlen liegenden, aufgerissenen Augen sandte er einen furchterregenden Blick aus, geradeso, als sei er eine strafende Figur. Der Fährmann stützte sich mit einem Arm auf einen Pflock, der mit dem Eismantel festgewachsen war, der andere wies mit ausgestrecktem Zeigefinger zur Insel hin.

Natürlich konnte ich darüber nur spekulieren, ob der gruselige Typ echt war und ich also tatsächlich einen erfrorenen Menschen vor mir hatte. Denn es kam wohl selten vor, daß ein Mensch aufrecht und mit ausgestrecktem Arm erfror. Vielleicht war es ein Scherz, irgendeine Schaufenster- oder Theaterdekoration, die die Werbeleute des Unternehmens Morgenrot als augenzwinkernde Warnung an Konkurrenten im See herumtreiben ließen. Aber der Bursche sah so verdammt real aus ...

Die Schmerzen meldeten sich wieder, und obwohl die vom Fährmann angezeigte Richtung nichts Gutes verhieß, blieb mir keine andere Alternative, als mich genau dorthin zu begeben.

Beim Erreichen der Insel stellten sich die wahren Dimensionen des Hochhauses heraus. Es war ein Gigant, ach was, ein Titan von einem Bauwerk, das auf halber Höhe wie von Gottesfingern um die eigene Achse verbogen zu sein schien und sich schier monströs in den Schneehimmel bohrte. Das spiegelnde Glaskorsett machte es unmöglich, einen Einblick ins Innere zu erhaschen. Ein breiter Treppenaufgang führte zu dem ebenfalls nur aus Glas bestehenden Eingang. Ich schleppte mich die Stufen hoch, und zu meiner Überraschung schoben sich oben die automatischen Türen mit einem leisen Summen zur Seite. Warme Luft blies mir entgegen und hieß mich willkommen. Ich trat ein.

Die Türen hinter mir schlossen sich, und ich befand mich in einem riesigen Raum, den Empfangshalle zu nennen eine lachhafte Untertreibung gewesen wäre. Er bestand komplett aus strahlendweißem Marmor, der einem die Augen blendete. In die Wände waren Tausende blaue Lämpchen eingelassen, die in der Masse an ein Sternenzelt erinnerten. Am anderen Ende begrenzte eine neuerliche Glasfront den Raum, allerdings war diese von milchiger Beschaffenheit, so daß das, was sich dahinter verbarg, ein Geheimnis blieb. Rechterpfote lag die sich wie ein mittelgroßes Schiff ausnehmende, ovale Portiersloge, selbstverständlich ebenfalls aus kostbarstem Marmor gehauen. Davor stand ein Hinkelstein von einem Portier in edelster Uniform, die aus einem bis zu den Lackschuhen reichenden, scharlachroten Mantel mit goldfarbenen Stickereien und Knöpfen und einer ebenso intensiv rot leuchtenden Mütze auf dem kantigen Schädel bestand. Und nicht zu vergessen die weißen Samthandschuhe. Er wirkte irgendwie panzerartig, und das aufgedunsene Gesicht war übersät von Pockennarben. So einen Winzling wie mich hätte er mit einem Finger wegkicken können.

Langsam trippelte ich durch die Empfangshalle, wobei ich den Panzermann aus den Augenwinkeln unter Beobachtung behielt. Dieser gebärdete sich jedoch trotz der von mir hinterlassenen roten Spur aus Blutstropfen auf dem blanken Marmor nicht im mindesten erbost. Im Gegenteil, er winkte mich mit einem freundlichen Lächeln durch und wies noch mit der anderen Hand zu der Milchglasfront. Also schleppte ich mich, der Ohnmacht nahe, dorthin. Allmählich forderte der Blutverlust seinen Tribut. Wieder gingen automatische Schiebetüren auf, und der Anblick, den sie freilegten, überstieg in solch einem Ausmaß meine Aufnahmefähigkeit, daß ich den Zeitpunkt für gekommen hielt, der drängenden Ohnmacht endlich nachzugeben ...

 

Als ich wieder zu mir kam, leuchtete mir mildes Licht ins Gesicht. Ich lag auf einem Operationstisch und schaute geradewegs in eine dreiäugige OP-Lampe. Um mich herum standen zwei grün bekittelte Mediziner mit Mundschutz. Sie zurrten gerade mit Pinzetten die Knoten der letzten Nähte an meinen Wunden fest. Ich ließ schwach den Kopf kreisen und stellte fest, daß ich mich in einem chirurgischen Saal der Extraklasse befand. Die Narkose- und Dauerbeatmungsapparate, die EKG-Schreiber, die Herzüberwachungssysteme und andere undefinierbare medizinische Geräte schienen allesamt auf dem modernsten Stand der Technik zu sein. Überall funkelte Chrom und blinkten bunte Diagramme auf Monitoren.

Als ich den Kopf etwas hob, sah ich vor mir ein Panoramafenster. Der Ausblick war atemberaubend. Offensichtlich hatte man mich in eines der oberen Stockwerke verfrachtet. Ich schaute aus mindestens hundert Metern Höhe auf den See und den umliegenden verschneiten Wald herab. Die mörderischen Schneeschauer hatten sich inzwischen verzogen. Dafür hatte die kalte Wintersonne das Ruder übernommen und ließ die ganze Umgebung in ihrem grellen Licht erstrahlen. Der zugefrorene See war eine funkelnde Platte und der Tannenwald ringsumher eine mit Wattebäuschen ausstaffierte Weihnachtsdekoration. Nur ein Dekorationselement hatte sich anscheinend in Luft aufgelöst: Den vereisten Fährmann in seiner vereisten Fähre konnte ich nirgends erblicken.

Die zurückliegenden Stunden kamen mir wie ein bizarrer Traum vor. Insbesondere der unglaubliche Anblick, der sich mir hinter den Milchglastüren geboten hatte, schien mir wie ein Trugbild meines von den Verletzungen umnebelten Verstandes. Oder konnte es tatsächlich wahr sein? Vielleicht spielte mir aber auch mein Gedächtnis einen Streich, weil ... weil so, wie ich mich momentan fühlte, stand ich ganz offenkundig unter irgendwelchen Drogen, starken Schmerzmitteln vielleicht oder den Nachwirkungen der Narkose. Wahrscheinlich waren diese surrealen Erinnerungen Echos von einem besonders plastischen Traum, der sich mir während meiner Ohnmacht aufgedrängt hatte.

Eine schattenhafte Gestalt schwenkte die OP-Lampe beiseite und glotzte mir mit dem Lächeln eines Engels ins Gesicht. Der Mann gehörte nicht zum Ärztepersonal; dieses war nach der Erledigung seiner Arbeit verschwunden.

Nein, derjenige, der mir da so freundlich in die Augen blickte, war ein alter Bekannter. Zuerst führte ich das Wiedererkennen auf das komische Zeug zurück, das gegenwärtig durch meine Adern floß. Doch dann, als die Realität nicht mehr zu leugnen war, mußte ich es mir eingestehen: Ich schaute einem Gespenst ins Angesicht!

Eduard von Refizul, der silberhaarige Greis auf dem Zeitungsfoto in vertrauter Pose mit Eloi, war wiedergeboren worden. Es konnte keine andere Erklärung geben. Das Knittergesicht mit der eindrucksvollen Matte hatte schon auf dem Bild so ausgesehen, als stünde der Greis mit einem Bein im Grab. Inzwischen waren aber siebzehn Jahre vergangen, so daß es einem Wunder gleichgekommen wäre, hätte der Alte noch nicht das Zeitliche gesegnet. Und in Anbetracht des Knaben vor mir wurde diese Rechnung endgültig zur Farce. Diese Refizul-Kopie sah bei weitem jünger, vitaler und irgendwie schelmischer aus als das Original auf dem Foto. Von einem Knittergesicht keine Spur. Die langen, dunklen Haare waren mit einer Goldklammer zu einem Pferdeschwanz gebunden, und ein Ring in Form eines fratzenschneidenden Dämons hing am rechten Ohrläppchen. Er wirkte eher wie ein hipper Modezar, was vor allem auf seine Kleidung zutraf. Er trug einen elegant geschnittenen, schwarzen Zweiteiler, und auch Hemd und Krawatte waren rabenschwarz, allerdings aus feinster Seide, so daß sie sich von dem Anzug durch ihren Glanz abhoben. Kurzum, ich hatte es hier mit einem modernen Dandy zu tun.

»Refizul?« brachte ich ungläubig hervor.

Sein mitfühlendes Lächeln entwickelte sich zu einem herzhaften Lachen. »Richtig geraten, mein Freund!« erwiderte er, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte. »Woher kennst du meinen Namen?«

Ich erklärte es ihm, wobei ich die Dinge nur andeutete. Aber selbst dieses wenige dauerte eine Weile, denn ich mußte ja erst bei Paps' Jugenderinnerungen anfangen und dann noch erzählen, was mir nach meinem Weggang alles zugestoßen war. Am Ende meiner Erzählung gab er sich recht erschüttert, nahm mich sanft in die Hände und spazierte aus dem Operationssaal. Von meinen vielfältigen Verwundungen spürte ich nicht einmal mehr ein Zwicken. Vom ersten Moment an fühlte ich mich in den Händen dieses Mannes geborgen. Mehr noch, ich fühlte mich wie eingelullt in eine magische Stimmung.

»Das ist ja eine verrückte Geschichte, Junior«, sagte er, während wir durch Gänge spazierten, welche in ihrer Ausstattung dem Marmorinterieur der Empfangshalle in nichts nachstanden. »Da muß ich dir wohl im Gegenzug meine Geschichte erzählen ...«

»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Wie kommt es eigentlich, daß wir uns miteinander so locker vom Hocker unterhalten können, Kumpel? Normalerweise ist ein Gespräch zwischen Mensch und Tier ein Ding der Unmöglichkeit. Oder träume ich das alles wieder nur?«

»Du hast wohl recht, daß es sich um einen in Erfüllung gegangenen Traum handelt. Aber du greifst meiner Erzählung voraus, denn eigentlich ist das der Gag der Geschichte. Ich heiße zwar Refizul, bin aber nicht der Refizul, den du auf dem Foto gesehen hast. Ich bin sein Sohn, Vito.«

Schon wieder ein Sohn? Die Söhne schienen in diesem verzwickten Fall allmählich inflationäre Ausmaße anzunehmen. Seltsamerweise tauchten sie auch stets an passender Stelle auf. Wenn man diesen Gedanken weiterspann, befand ich mich am Ende vermutlich doch in einem Traum, nämlich in dem unserer Väter. Denn allen Söhnen, einschließlich mir, war bis jetzt eines gemeinsam: Sie hatten mit der Vergangenheit ihrer Väter nicht abgeschlossen. Aber welch ungeheuerliches Geheimnis verbarg sich in dieser Vergangenheit, daß sie noch so lange und folgenschwer nachwirkte?

»Mein Vater, ein Sprachforscher, hatte die Vision, daß ein direkter sprachlicher Austausch zwischen Mensch und Tier möglich sei«, fuhr Refizul fort, während wir einen Aufzug ansteuerten, der von einem prächtig verzierten Messingrahmen eingefaßt war. »Man hat ihn deswegen für verrückt erklärt. Am Ende seines Lebens im wörtlichen Sinne. Aber davor hat er alles mögliche unternommen, um seine Theorie zu beweisen. Was natürlich bestimmten Kreisen wenig gefiel. Der Nahrungsmittelindustrie nicht, weil sie Tiere als hübsch zerhackte Leckereien an die Konsumenten verkauft und ein gewaltiges Problem bekommen würde, wenn die Leckereien plötzlich ein ernstes Wörtchen mit den Konsumenten reden. Den Forschern für Tierversuche nicht, weil sie wohl auf der Stelle arbeitslos wären, wenn herauskäme, daß diejenigen, die sie täglich foltern und töten, sie in ihrer Sprache um Erbarmen bitten. Den christlichen Kirchen und den Vertreter des Islams nicht, weil sie dann anerkennen müßten, daß Tiere ebenso eine Seele haben wie Menschen. Und so weiter und so fort. Deshalb beschloß mein Vater, die Sache im geheimen zu verfolgen, und hat sich mit einigen Mitstreitern auf diese Insel zurückgezogen. Hier stand einst ein verlassenes Kloster. Unter dem Deckmäntelchen einer psychiatrischen Anstalt und einer neuartigen Therapie, bei welcher Tiere in der Behandlung von psychischen Krankheiten zum Einsatz kommen, arbeitete er dann unauffällig weiter an seinen Experimenten. In Wahrheit jedoch wurde in der Anstalt fieberhaft an der universellen Kommunikation geforscht. Aber das Versteckspiel sollte leider von kurzer Dauer sein.«

Die Aufzugstüren öffneten sich, und wir bestiegen eine geräumige Kabine, die sich wie ein Königsgemach ausnahm. Ein, wenn mich nicht alles täuschte, massivgoldener Handlauf, ebenfalls geprägt mit fratzenschneidenden Dämonengesichtern, führte übers Eck. Die Wände waren mit rotem Samt ausgeschlagen, und über der Tür prunkte ein Dämonenhaupt, das den Fahrstuhlgästen die Zunge entgegenstreckte. Refizul drückte den Knopf zum Erdgeschoß. Dort glaubte ich, jene Szenerie gesehen zu haben, die wohl selbst die abgedrehteste Phantasie nicht heraufzubeschwören vermocht hätte. Jetzt ging es abwärts.

»Schnell bekam die Gegenseite Wind von der Sache und wurde aktiv«, sagte Refizul. In seiner Stimme schwang jetzt tiefste Bitternis. »Mit Hilfe diverser Ärztevereinigungen und Gesundheitspolitiker, die selbstverständlich von den besagten Interessengruppen gekauft waren, wurde die Institution Morgenrot – nein, nicht geschlossen. Im Gegenteil, man fällte ein viel schlimmeres Urteil über die Forschungseinrichtung und deklarierte sie über Nacht zu einem richtigen Irrenhaus. Vater und seine Mitstreiter wurden ohne einen medizinischen Befund und ohne ein juristisches Verfahren zu gemeingefährlichen Geisteskranken erklärt. Man hatte sie auf einen Schlag mundtot gemacht und damit ihr Schicksal besiegelt. Sie mußten unter erbärmlichsten Umständen bis an ihr Lebensende in ihrer eigenen Anstalt dahinvegetieren. Einige von ihnen wurden irgendwann tatsächlich verrückt. Es gab viele Selbstmorde damals. Leider hatte ich zu jener Zeit eine Professur im Ausland inne und konnte mich um den Alten nicht kümmern. Und später, tja später, da war es wirklich zu spät.«

»Hast du nicht eine wichtige Episode in deinem Bericht vergessen, Refizul?« warf ich ein. Er kraulte mich mit dem Zeigefinger seitlich am Nacken, dort, wo wir es besonders mögen. Der Kerl beherrschte diese Kunst in der Tat meisterlich. Ich hätte vor Wohlbehagen Schlager singen können.

»Welche Episode meinst du?«

»Zufällig weiß ich von Paps, daß dein Paps nach dreißig Jahren aus der Klapse entlassen wurde.«

»Ach das ...«

Der Zeigefinger am Nacken hielt mit einem Mal inne, und es kam mir so vor, als hätte sich auch die Geschwindigkeit des Fahrstuhls schlagartig bis an die Grenze des Stillstands verlangsamt. Sicherlich war dieser Eindruck unter der Rubrik Sinnestäuschungen zu verbuchen, ausgelöst durch den Rest der Betäubungssubstanzen in meinen Adern.

»Ja, da hast du wohl recht. Als sie irgendwann meinten, daß er endgültig gebrochen war und keinen Schaden mehr anrichten konnte, hat man ihn entlassen. Doch da hatten sie sich geschnitten. Kaum draußen, nahm Vater seine Forschungen an dem Punkt wieder auf, wo er vor langer Zeit zwangsweise hatte aufhören müssen. Die Gegenseite hat ihn ziemlich schnell wieder einkassiert. Ich habe erst Jahre später von seinem Tod erfahren.«

»So ist es, Refizul«, sagte ich. »Mal verliert man, mal gewinnen die anderen.« Der Fahrstuhl schien nun wieder in normaler Geschwindigkeit zu sinken, und auch der Zeigefinger hatte seine Massagearbeit in meinem Nacken wieder aufgenommen. »Paps hat aber noch von dieser abgewirtschafteten Villa erzählt, in der der alte Refizul nach seiner kurzfristigen Entlassung unterkam. Ich habe den Kasten besichtigt. Also, wenn du mich fragst, würde ich meinen Bausparvertrag dafür nicht gerade verpfänden. Da hat sich in all den Jahren nichts getan. Wem gehört die Ruine überhaupt?«

Der Finger an meinem Nacken zuckte nervös. »Keine Ahnung.«

»Morlock hat vor seinem Tod von einem Lichtbringer gesprochen, wogegen er seinen eigenen Erzeuger als einen Fänger bezeichnete. Kannst du mit diesen beiden Begriffen etwas anfangen?«

»Du scheinst ja deinem Detektivvater geradezu aus der Schablone geschlüpft zu sein, Junior. Eben noch haben wir um dein Leben gebangt, jetzt strapazierst du schon die Nerven eines alten Herrn bis zur Schmerzgrenze. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, du bist der Teufel. Aber bei einer Sache kann ich dir wirklich weiterhelfen, wenn mich meine humanistische Bildung nicht im Stich läßt. Der Begriff Lichtbringer ist nichtjüdischen Ursprungs. In der Antike war Lichtbringer der Name für den Planeten Venus. Im antiken Babylon wurde die Venus als Tagesstern, Sohn der Morgendämmerung oder auch Morgenstern bezeichnet. Die römische Mythologie kennt den Lichtbringer als Sohn von Aurora, der Göttin der Morgenröte. Und in der griechischen Mythologie hatte diese Göttin einen Sohn, welcher Phosphoros, also Lichtbringer hieß. Ich erinnere mich an die ersten Zeilen eines Gedichts: Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der Morgenröte! Wie bist du zu Boden geschmettert, Überwältiger der Nationen!«

»Na toll«, sagte ich. »Jetzt weiß ich genauso viel wie vorher. Heißt der Laden hier nicht auch Morgenröte?«

»Morgenrot! Ja, das war der Name des zerstörten Klosters. Wir haben den Namen wegen seines zuversichtlichen Klangs beibehalten. Was es mit dem Fänger auf sich hat, da kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen. Sicher hat Morlock im Angesicht des Todes einiges durcheinandergebracht und wirr geredet. Aber willst du nicht lieber erfahren, wie aus dem einstigen Gefängnis Morgenrot ein Heilsbringer für deinesgleichen wurde?«

»Ich weiß nicht, Refizul. Bevor ich in Ohnmacht fiel, habe ich schon so einiges gesehen. Noch mehr solcher Einblicke, und ich falle in meine letzte Ohnmacht und bin mausetot.«

Er brach wieder in ein herzhaftes Lachen aus und streichelte zum Abschluß meinen Kopf. »Das glaube ich nicht. Niemand stirbt hier ohne meine ausdrückliche Erlaubnis!«

Der Fahrstuhl kam zum Stehen, und die silbernen Türen öffneten sich mit einem fast unhörbaren Pfff... Heiliger Bimbam! Da war ich vor ein paar Stunden doch nicht das Opfer irgendwelcher Synapsenverdrehungen in meinem von Schmerzen ausgelaugten Hirn geworden. Es war alles wahr, was ich hinter den Milchglastüren gesehen hatte – und ich konnte es immer noch kaum glauben! Refizul und ich betraten eine Galerie mit Laufgitter, die über ihre Brüstung hinweg eine fabelhafte Sicht auf das fußballfeldgroße Erdgeschoß erlaubte. Das darin befindliche Mobiliar bestand ausschließlich aus Designer-Prachtstücken. Da reihte sich der klassische Thonet-Stuhl an eine Le-Corbusier-Liege in Löffelchen-Form und ein wie aus Quadern bestehendes Original-Charles-Eames-Sofa an einen Achille-und-Pier-Giacomo-Castiglioni-Hocker, der einem Fahrradsattel ähnelte. Tische sonder Zahl von Borge Mogensen, Ettore Sottsass und Philippe Starck standen wie kleine einladende Inseln im Raum, und schnittige Apple-Computer der neuesten Generation strahlten um die Wette. Allein um dieses Interieur finanzieren zu können, mußte man eine Geldbörse vom Volumen einer mittelgroßen Sparkasse besitzen. Dies bezeugten auch eine Armee kräftiger Kerle in schwarzen Anzügen und mit dunklen Brillen auf der Nase, die im Abstand von etwa zehn Metern die hohen Wände säumten. Offenkundig Sicherheitsleute, welche bei einem Zwischenfall sofort eingreifen würden.

Doch weniger der Prunk denn das, was sich in dieser Kombination aus Club und Edelbüro abspielte, versetzte mich in grenzenloses Erstaunen. Männer und Frauen in den elegantesten Klamotten und Artgenossen, die selber wie von einer Nobelboutique geliefert zu sein schienen, debattierten miteinander. Das ganze Szenario weckte Assoziationen an das alte Griechenland, wo jeweils ein hochgebildeter Lehrer einen Schüler unterrichtet hatte. Natürlich war nicht alles Sonnenschein. Auf einem der mittleren Tische wurde ich mit dem grausigsten Anblick meines Lebens konfrontiert. Es war so schlimm, daß mir vor Abscheu sogar für einen Moment richtiggehend schlecht wurde: Eine Perser-Dame mit zerzaustem rotem Fell stand vor einem Notenständer auf den Hinterbeinen und sang tatsächlich »Memory« von Andrew Lloyd Webber!

»Wer sind all diese Irren, Refizul?« wollte ich wissen, nachdem ich meine Verblüffung wieder unter Kontrolle hatte.

»Botschafter!« antwortete er und schritt zu der Treppe, die von der Galerie nach unten führte. »Sowohl Mensch als auch Tier werden hier mit den von meinem Vater entwickelten Methoden unterrichtet und dann in die weite Welt geschickt, um das Erlernte weiterzuverbreiten. Morgenrot Inc. hat es sich zur Mission gemacht, die Sprache zwischen unterschiedlichen Spezies mit der gleichen Selbstverständlichkeit unter die Leute zu bringen wie andere Fremdsprachen.«

Wir stiegen die Stufen hinunter und näherten uns einem Tisch, an dem eine junge Blondine in einem schwarzen Geschäftskostüm saß. Ihr gegenüber kauerte eine Birma mit dem säuerlichen Ausdruck eines Oberstudienrats vor aufgeschlagenen Büchern. Dem Griesgram fehlte nur noch eine Nickelbrille vor seinem wie mit Zigarettenasche getupften Gesicht. Bis auf die Ohren, Beine und den extrem buschigen Schwanz war er seidenweiß. Die saphirblauen Augen funkelten giftig.

»Nein, nein, nein!« schrie er die junge Frau an. »Man kann Seren Kierkegaard nicht ausschließlich als einen religiösen Philosophen klassifizieren. Zwar begreifen wir uns nach seiner Lehre als ein Selbst, dem nur von Gott Unendliche Existenz zukommt. Daher ist das Ziel des religiösen Wesens, in ein existentielles Verhältnis zu Gott zu treten. Dies kann allein im Glauben geschehen. Gott als das Absolute ist nicht der Kausalität der Welt unterworfen und entzieht sich daher als der Unbekannte unserem Verstand, er ist rational nicht erkennbar. Das heißt aber nicht, daß wir uns ohne Gott nicht als ein sowohl immanentes als auch transzendentes Wesen erkennen würden.«

»Wovon redest du, Kasimir?« erwiderte die Blondine genervt und fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Ich rede doch nur von Søren, dem Kantinenkoch, und daß er sich als Fünf-Sterne-Maître gefälligst etwas mehr einfallen lassen sollte als den ewigen Rehrücken, wenn er schon für eine halbe Mio im Jahr aus L. A. abgeworben wurde.«

»Ach so«, sagte Kasimir und sackte in sich zusammen.

Refizul jr. schmunzelte. »Solche Auseinandersetzungen haben wir hier öfters. Mensch und Tier tauchen durch die Aufhebung der Sprachbarriere ungehindert in die Geisteswelt des jeweils anderen ein und lernen sich dadurch besser kennen. Glaube mir, mein Freund, so wie es heutzutage verpönt ist, Menschen wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts oder ihrer Religionszugehörigkeit zu diskriminieren, so wird es in naher Zukunft unmöglich sein, Kreaturen jedweder Art unterschiedlich zu behandeln.«

»Super!« sagte ich. »Könnten wir vielleicht diese sonnige Zukunft zumindest im kulinarischen Bereich nicht etwas vorziehen? Obwohl man nach der Narkose nicht sofort etwas zu sich nehmen sollte, hörte sich die Sache mit dem Rehrücken für mich echt klasse an.«

»Nein«, entgegnete Refizul scharf. »Das Zeug würde ja doch wieder gleich aus dir herauskommen.«

Ich seufzte. Wir streiften an einer Couch vorbei, auf der sich ein verlaust wirkender Typ mit filzigen Dreadlocks lümmelte. Er hatte sich einen speckigen Anorak unbestimmbarer Farbe übergestülpt und trug eine auch nicht gerade wie frisch gewaschen wirkende Hose, die ihm so weit war, daß er sie locker mit drei anderen Jungpennern hätte teilen können. Auf seinem Schoß saß eine merkwürdigerweise völlig saubere Japanese Bobtail mit der klassischen, rot-schwarz-weiß gefleckten Mi-Ke-Färbung. Das schlanke, im seidenweichen Fell verpackte Bürschchen mit dem buschigen, aber extrem kurzen Schwanz, der dem eines Kaninchens ähnelte, schien einiges mit dem Verlausten zu teilen. Und zwar im buchstäblichen Sinne. In den Lauschern der beiden steckten winzige Ohrhörer, die über Kabelstränge mit einem weißen iPod verbunden waren. Sie schwangen ihre Köpfe zum Rhythmus des Sounds. Der Musikgenuß hinderte sie jedoch nicht daran, sich genau deswegen in Brüllautstärke gegenseitig zu attackieren.

»Das ist doch kein Detroit Techno, Alter!« schrie der Freak von einem Japanese Bobtail den menschlichen Freak an, ohne das wilde Kopfschwingen zu unterbrechen. »Die Jungs kommen aus Liverpool, die haben den Style einfach nicht drauf. Hört sich für mich eher wie Trance-Progressive Industrial Metal an. Und das geht ja wohl gar nicht. Zieh dir das mal rein!« Sprachs und fummelte mit den Vorderpfoten an dem Player herum.

Der Dreadlock hörte sich den neuen Sound zwei geschlagene Sekunden an, bis er seinerseits in ein Gebelle losbrach, allerdings ebenso, ohne das Kopfschwingen auszusetzen. »Das soll Trance-Progressive Industrial Metal sein? Blödsinn, Alter, das ist Dark Ambient! Kommt irgendwie uncool. Nein, wenn du dir echt geiles Gothic Metal antun willst, hau dir das mal in die Löffel.«

So ging es die ganze Zeit hin und her. Kaum hatten die beiden Freaks einem Song für Augenblicke eine Chance gegeben, da fuchtelte einer von ihnen sofort wieder an dem Player und ließ etwas anderes erklingen. Dabei bewarfen sie sich gegenseitig lautstark mit diesem Etiketten-Arabisch, als ginge es um ihr Leben.

»Nun ja, echte Harmonie wird es wohl auch in der künftigen Welt so schnell nicht geben«, sagte Refizul und zog mit mir weiter durch den babylonischen Zirkus. »Aber niemand wird mehr der Sklave des anderen sein. Nach und nach werden unsere Botschafter die Welt infiltrieren, sich in Schlüsselpositionen festsetzen und dafür sorgen, daß jede Kreatur der anderen erst einmal zuhört. Eine Gleichheit unter allen Lebewesen wird so Zugang in die Welt finden, und außer der liebevollen Unterscheidung zwischen Brüdern und Schwestern wird es keine andere mehr geben.«

»Gut gesprochen, Refizul«, pflichtete ich ihm bei. Der Kerl hatte zwar eine Meise von der Größe einer Doppelhaushälfte, aber wenn bei diesem Größenwahn etwas für uns heraussprang, warum nicht? Paps hätte sich sicher gefreut. »Und bevor wir uns alle ganz lieb an den Pfoten fassen, möchte ich noch einmal auf diese Sache mit dem Rehrücken zurückkommen ...«

Ein Glastisch, auf dem Stapel von Filmmagazinen lagen, zwang uns zum Ausweichen. Inmitten des ganzen Durcheinanders machte es sich quer ausgestreckt eine unglaublich fette American-Shorthair-Dame bequem. Ihre Fellzeichnung war schon außergewöhnlich genug: Die typischen Silber-Tabby-Flecken machten sie zu einem Zebra in Felidae-Gestalt. In Verbindung mit ihren kanariengelben Augen und den stämmigen Beinen hätte es sich bei ihr auch um ein sündhaft teures Stück aus einem Accessoires-Laden handeln können. Doch das rosafarbene Bluetooth-Headset an ihrem rechten Ohr setzte der Dekadenz noch die Krone auf.

»Tom-Darling, mach dir mal keinen großen Kopf«, hörte ich sie trällern, während wir an ihr vorbeigingen. »Quentin Tarantino ist ganz hingerissen von dem Stoff. Und John hat auch schon zugesagt ... Welcher John? Na, der Travolta John natürlich ... Was heißt, Mann von gestern? Der Mann von gestern verlangt immerhin zwanzig Millionen Eier und eine zwölfprozentige Gewinnbeteiligung! Wir reden hier von einem Produktionsvolumen von hundertachtzig Millionen Dollar. Deine Credibility ist nach deinen letzten Ausfällen ziemlich im Keller, Darling. Deshalb will das Studio Scarlett als deine Partnerin haben. Wegen der Fuckablity. Tom Cruise, Scarlett Johansson und John Travolta als Mr. Martini in Einer flog über das Kuckucksnest 2. Na, wie klingt das?«

Am Ende des Rundgangs drehte sich Refizul um, und wir ließen die Blicke über die emsig schnatternden Sprachbotschafter in spe schweifen. Das Ganze war immer noch ein unglaublicher Anblick für mich. Eine Art Großraumbüro mit Möbeln der Edelklasse, in der recht exzentrische Mitarbeiter herumsaßen und mit recht exzentrischen Artgenossen plapperten, alles beschienen von der kalten, grellen Wintersonne, die durch die gigantische Glasfassade strahlte.

»Wie kommen denn die vielen Botschafter zu den strategischen Orten in aller Welt, Refizul?« fragte ich. Der Mann in Schwarz verwöhnte meinen Kopf mit raffinierter Streichelakrobatik. Eins mußte man dem komischen Kauz ja lassen: Er hatte in der Tat ein Händchen dafür, was unsereins glücklich macht.

»Die Menschen bleiben hier und unterrichten die neue Generation von Tieren«, erwiderte er. »Deine Kollegen werden bei Ebay versteigert.«

»Wie bitte?« Schlagartig richteten sich meine Rückenhaare auf wie kleine Nadeln. Trotz meiner frischen Nähte bewegte ich mich so ungestüm in seinen Händen, daß er sanften Druck ausüben mußte, um mich nicht fallen zu lassen.

»Nicht so voreilig, Junior.« Refizul lachte wieder. »Das sind keine normalen Ebay-Angebote. Der Startpreis liegt bei dreihunderttausend Euro pro Tier.«

»Na, das beruhigt mich ja einigermaßen«, sagte ich. »Das heißt, so beruhigend klingt die ganze Sache vielleicht doch nicht, wenn ich es mir genau überlege. Wer soll bei dieser Startsumme überhaupt mitbieten? Falls überhaupt jemand zu bieten anfängt. Jedenfalls habe ich irgendwo gelesen, daß sogar Ingvar Kamprad sein Regal bei IKEA kauft. Ich kann mir kaum vorstellen, daß so einer für meinesgleichen mehr ausgibt als – null Cent?«

»Die Auktion ist doch nur Tarnung, Junior. Und die hohe Summe nur ein Schutz, damit nicht jeder Depp mitbieten kann. Unsere Sympathisanten sitzen rund um den Globus verteilt und sind eingeweiht. Und sie werden zuschlagen, wenn die Versteigerung beginnt.«

»Also wird in Wahrheit gar keine Kohle rüberwachsen. Das Ganze ist ein abgekartetes Spiel.«

»Im Gegenteil, es werden Millionen zusammenkommen. Denn diejenigen, die in unser Projekt eingeweiht sind, sind gleichzeitig die reichsten Leute dieses Planeten. Was meinst du denn, wer all die Pracht, in der du dich befindest, finanziert hat? Das wird eine Versteigerung der ultimativen Art, und die ganze Welt wird mit heruntergeklapptem Unterkiefer daran teilnehmen, ohne auch nur zu ahnen, um was es überhaupt geht. Ich sage nur IKEA!«

»Wann steigt denn die Auktion?« fragte ich.

»Sobald mein Partner eingetroffen ist.«

»Du hast einen Partner? Ich dachte immer, daß Leute vom Schlage ›Herrscher der Finsternis‹ eher solitär agieren. Mußt du bei der Vorstellung nicht in dein Kissen weinen, daß es eines Tages heißen könnte, der ganze Erfolg sei nicht allein auf deinem Mist gewachsen?«

Ich spürte, wie er tief einatmete. »Nun ja, in gewisser Hinsicht wurmt es mich schon. Aber es gibt diesen Vertrag. Damals, als ich nach Vaters Tod wieder bei null anfangen mußte, konnte ich ein Projekt von solchen Ausmaßen nicht alleine stemmen. Ich brauchte einen starken Verbündeten, jemanden, der bereit war, mit mir einen unkündbaren Pakt zu schließen. Ich mußte einen Kompromiß eingehen, schließlich hatte ich einen mächtigen Gegner.«

»So? Wen denn?«

»Das verrät dir am besten mein Partner.«

Ich ließ es auf sich beruhen, weil mich die Fülle der auf mich niederprasselnden Informationen allmählich erschöpfte. Obwohl alles ziemlich clever ausgedacht klang, flüsterte mir eine innere Stimme, daß wie jede großartige Sache auch diese einen gewaltigen Haken haben müsse. Doch was kümmerte es mich, wenn irgendwelche Weltverbesserer alle Jahre wieder das Gute unter die Teufel zu bringen trachteten? Wichtig war, daß sie es versuchten. Meine Gedanken schweiften zu der mir näherliegenden Frage ab, weshalb ich überhaupt hier gelandet war. Beinahe hätte ich die Triebfeder meiner abenteuerlichen Reise vergessen. Jetzt fragte ich mich, in welchem Zusammenhang dieser bizarre Zoo mit dem Massaker der Dudes vor siebzehn Jahren stehen könnte. Und vielleicht hätte Paps ja noch von weiteren Morden berichtet, wenn ich diese verdammte Nacht einfach zu Hause geblieben wäre. Vielleicht. Nein, nicht vielleicht, sondern mit absoluter Sicherheit hatte ich alles falsch gemacht, was es falsch zu machen gab! So wollte ich als Wiedergutmachung wenigstens den Faden dort wieder aufnehmen, wo ich ihn verloren hatte.

Refizul bewegte sich auf eine Treppe zu, die hoffentlich den Weg zur Kantine verhieß.

»Eine Frage noch, verehrter Meister«, sagte ich. »Was ist eigentlich mit dem alten Kloster passiert, das einmal auf der Insel gestanden hat?«

In Refizuls Gesicht erschien ein seltsames Lächeln. »Hm... Also, soweit mir bekannt, hat sich damals Folgendes abgespielt ...«